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Nordseesteine - Das Rätsel der roten Watt-Steine

Was kann es Schöneres geben, als ein Tag am Meer? Sonne, Wind und Wasser!! Na ja, Wasser war an diesem Tag auf dem Pilsumer Watt weniger zu sehen. Bis auf ein paar Pfützen hatte die Ebbe kein Meerwasser hinterlassen. Also musste ich nach anderen Aktivitäten Ausschau halten. Der Blick auf den Wattboden ließ schnell die alte in den Genen verhaftete Leidenschaft zum Vorschein kommen: Sammeln und Jagen. Aber hier an dieser Stelle war das nicht so gut möglich, wollte ich mir nicht schwarze Füße holen. Hier war der Boden doch zu schlickig. So schwang ich mich auf mein Fahrrad und fuhr die Deichnase in Richtung Schleuse „Leysiel“ entlang. Das Ziel war ja kaum zu verfehlen, grüßte doch die aufgeklappte Straßenbrücke weithin sichtbar. Außerdem gab es nur diesen einen asphaltierten Weg, wollte ich nicht über den Deich auf die andere Seite. Nein ich blieb auf dieser dem momentan nicht vorhandenen Meer zugewandten Seite und radelte meinem Ziel entgegen. Mein Blick blieb meist Richtung Watt gerichtet.

Fast alle Bilder kann man durch Anklicken vergrößert anschauen.

Das geht hier, weil nicht so viel Verkehr herrscht und man meist nur den Kötelhinterlassenschaften der Deichschafe ausweichen muss, will man nicht stundenlanges Radputzen in Kauf nehmen.

Mich interessierte aber etwas anderes: Der Streifen Sand da unten wurde immer breiter. Das war früher nicht so. Im Lauf der Jahre nach dem Bau der Deichnase setzte sich offenbar durch die nach Osten bewegende Drift immer mehr Sand an der westlichen Seite ab. Ganz anders als auf den Inseln, dachte ich noch.

Aber dann hatte ich andere Gedanken, da unten war endlich das erreichbar, was ich wollte: Muscheln sammeln und das mit sauberen Schuhen. Auf diesem Sand war das möglich, sogar mit Insel-Feeling. Das Fahrrad abgestellt und über die steinbewehrte Uferbefestigung hinunter und da waren sie auch schon, Muscheln, Muscheln aller Art, das heißt Muschelschalen, oder „Nüners“ wie die Ostfriesen sagen.   

Dazwischen mal das eine oder andere Salatblatt, oder Schwimmkörper des Blasentangs.

In einer kleinen Pfütze sucht sogar ein kleiner Taschenkrebswinzling sein Heil in der Flucht vor dem vermeintlichen Feind.

Und da waren auch noch ein paar kleine Garnelen, die den Weg ins offene Meer nicht mitgemacht hatten und hier auf das irgendwann wiederkehrende Wasser warteten, genauso wie die vielen unterirdischen Mitbewohner des Watts, die sich im Boden verborgen halten.

Mich aber störte etwas an dieser amphibischen Idylle. Da lagen Steine, nicht die Steine der Randbefestigung, die immer mal wieder durch die Gewalt der Wintersturmfluten herausgeschlagen wurden, meistens Basaltsteine. Nein, es waren rote Steine. Auf den ersten Blick Ziegelsteine. Ärger keimte auf. Hatte da einer seinen Schutt hinterlassen?

 

Dann kamen andere Gedanken auf. Waren das vielleicht Relikte von Sturmfluten? Untergegangene Dörfer gab es an der Nordsee gerade genug. Und man las ja immer mal wieder von Funden aus dieser Zeit, da die Sturmfluten den Dollart und die Leybucht und viele andere Scharten in das küstennahe Festland gerissen hatten und ganze Dörfer vernichtet hatten. War das vielleicht auch…? Aber eigentlich konnte es nicht sein, da es meines Wissens an dieser Stelle früher kein Dorf gegeben hatte.

Beim näheren Betrachten der vermeintlichen Ziegelsteine fiel mir aber auf, dass Teile dieser Steine abgeplatzt im Sand lagen. Das konnte kein aus Lehm gebrannter Stein sein. „Geblätterte“ Steine kenne ich nur als Sandsteine und die findet man am Neckar und in Teilen des Odenwalds haufenweise als Übergangsformate zwischen festen Steinen in das wieder erodierte Urmaterial Sand. Hier aber hatten die Steine nichts zu suchen, hier waren sie Fremdkörper.

Mein Blick fiel auf einen Steinbrocken mit feinen Linien. Beim genaueren Hinsehen war eine Regelmäßigkeit dieser Linienanordnung erkennbar. Mein Interesse war geweckt. Noch weitere Steine wurden von mir unter die besondere „Augenlupe“ genommen. Ich fand noch mehr Steine mit solchen Abdrücken und dann war mir schnell klar. Das mussten Versteinerungen sein. Pflanzen, die in Urzeiten zwischen Sedimenten eingelagert, durch den immensen Druck versteinert wurden, schauten mich da an. Ein gewisser Entdeckerstolz erfasste mich, ich hatte „Blut geleckt“, der Jäger- und Sammlertrieb hatte mich voll erfasst. Als die Jackentaschen voll waren, musste ich aufgeben. Ich wollte ein weiteres Mal hierher kommen.

Zuhause wurde das Material erst noch einmal gesichtet, gewaschen und dann mit der Nahlinse fotografiert. Neben den roten Steinen konnte ich auch an andersfarbigen Steinen Fossilienspuren entdecken.Die feinen Linien und Strukturen der Stiele, Blätter und evt. Fruchtstände der ehemaligen Pflanzen, seit Millionen von Jahren versteinert und nunmehr vor mir auf dem Tisch liegend, begeisterten mich.

Im Computer konnte ich dann vergrößert anschauen, was mir beim Betrachten mit dem bloßen Auge entgangen war. Es war faszinierend, was sich durch das Fokussieren auf Teilbereiche ohne die störende Umgebung auftat. Da wurden weitere Linien und Muster sichtbar.

Beim nächsten Sammelgang fotografierte ich die Fundstücke erst mal in ihrer Umgebung, gewissermaßen als Dokumentation und später wieder mit der Nahlinse als Einzelobjekte.

Bei der Entdeckungsreise kam mir aber immer wieder die Frage nach dem WOHER? in den Sinn. So langsam formte sich eine Theorie: Waren nicht damals beim Bau des Deichs, den man als Nichtbeteiligter nur aus dem Abstand erlebte, lange Kolonnen von Staub aufwirbelnden LKWs unterwegs und transportierten Steine, Klei und andere Materialien für den zukünftigen Schutzwall? Jedoch würde man dann ja diese Steine auch an anderer Stelle finden können.

Aber dann kam eine Idee auf: Ich konnte mich ganz genau erinnern, dass sich genau an dieser Stelle das Ende der großen Rohrleitung  befand. Am Anfang der Rohrleitung war der Saugbagger, der die Fahrrinne nach Greetsiel aus dem ehemaligen Deichvorland herausschnitt und sein Baggergut auf das Pilsumer Watt spülte. In den Rohrleitungen rumpelte deutlich hörbar so mancher große Brocken dem Ende des kilometerlangen Rohrsystems entgegen und landete dann vermutlich zusammen mit dem Wasser, Torf, Erdreich, Mergel, Sand auf dem Wattboden.

 

 

Die schwimmenden Teile konnte man wochenlang beobachten, wie sie bei Hochwasser an der Wasseroberfläche wie Öl an das Ufer schwappte und scheinbar die Umwelt verdreckte.

Die schweren Steine hatten sich vermutlich abgelagert, das Meer hatte dann seine zerteilende Arbeit aufgenommen und das Ergebnis präsentierte sich jetzt. Nach dieser meiner Theorie könnten also meine Versteinerungen aus dem ehemaligen Deichvorland stammen.

Ich wollte Gewissheit haben und überlegte, wen ich dabei um Rat fragen könnte. Zunächst fiel mir das Internet ein. Da gab es bestimmt Abbildungen, die meinen Fundstücken ähnlich waren. Als regelmäßiger Besucher des Senckenbergmuseums in Frankfurt suchte ich erst mal da, kam aber zu keinem schlüssigen Ergebnis. Meine schriftliche Anfrage an die Senckenberggesellschaft wurde gleich freundlich beantwortet und ich wurde, weil es sich ja offensichtlich um ein maritimes Anliegen handelte, an die Forschungsstelle Senckenberg am Meer in Wilhelmshaven verwiesen.

Die Antwort von Herrn Dr. Achim Wehrmann, an den ich meine Anfrage richtete, war ein großzügiges Angebot, nämlich mit meinen Steinen gleich zu ihm in das Institut in W’haven zu kommen, damit wir uns die Steine gemeinsam anschauen könnten. Die E-Mail erreichte mich aber in einem Bayernurlaub, also 1000 km entfernt. Wir einigten uns im E-Mail-Austausch darauf, dass ich, wenn ich zu Hause angekommen bin, ihm ein kleines Päckchen mit einer Steine-Auswahl schicken durfte zur näheren Bestimmung.

Es dauerte ein Weilchen, bis die Absicht in die Tat umgesetzt wurde....., aber dann war mein kleines Paket fertig:

             

                                    

Das Paket kam gut in Wilhelmshaven an. Herr Wehrmann stellte in Aussicht, dass ein Fachmann aus Frankfurt demnächst nach W'haven käme. Seine Beurteilung sollten wir noch abwarten. Es dauerte wieder eine ganze Weile, weil der Besuch sich doch nicht so schnell realisierte.

Aber dann kam die Rückmeldung, vorerst als E-Mail:

Sehr geehrter Herr Matern, 

das Warten hat sich gelohnt, denn in der vergangenen Woche hatte nun endlich mein Frankfurter Kollege Dr. Wilde die Möglichkeit ihre Fundstücke zu untersuchen, mit durchaus überraschendem Ergebnis. Meine erste Vermutung, dass es sich bei den Fundstücken um palaeozooische Pflanzenreste handelt, war korrekt, daher Dr. Wilde als Palaeobotaniker auch genau der richtige Ansprechpartner. Ich werde ihnen die Fundstücke heute zurücksenden, jeweils mit den entsprechenden Anmerkungen zu den einzelnen Stücken. Nur so viel schon im Voraus: bei den Fundstücken handelt es sich um sog. "verziegeltes" Halden- bzw. Schlackenmaterial einer karbonischen Steinkohle. Möglicherweise stammt das Material aus den heimischen oder aus den englischen Steinkohlerevieren. Sämtliches Material kann Pflanzen aus dem Karbon  zugeordnet werden. Die Verziegelung ist das Produkt eines Schwelbrandes unter geringer Sauerstoffzufuhr und Umwandlung des fein in der Kohle verteilten Eisens. Daher auch die intensive sekundäre Rotfärbung. Herrn Dr. Wilde ist solches Material durchaus bekannt. Entweder wurden das Halden- und Schlackenmaterial im Watt "entsorgt" oder es stammt aus der Zeit  der Dampfschifffahrt. Da es eindeutig dem Karbon zuzuordnen ist, scheidet eine Erosion direkt im Untergrund anstehenden Gesteins aus, ebenso eine Verfrachtung im Zusammenhang mit vorangegangenen Eiszeiten.

 Mit den besten Grüßen

Achim Wehrmann

Ich freute mich ein Ergebnis in der Hand zu haben und war dankbar, dass sich zwei Wissenschaftler  Zeit für mein Anliegen genommen hatten. Jetzt wusste ich schon einmal aus welchem Erdzeitalter die Fossilien stammten. Die Beschreibung und Benennung der versteinerten Pflanzen war sehr aufschlussreich. Mit Hilfe der Auflistung konnte ich jetzt auch im Internet noch weiterforschen und freute mich über jedes entdeckte Detail.

 

 

Sporenzapfen von Calamites (Schachtelhalme,Karbon)

Sigillaria (Siegelbäume, Bärlappgewächse)

Lepidodendron (Schuppenbäume, Bärlappgewächse)

Lepidodendron (Schuppenbäume, Bärlappgewächse)

Sigillaria (Siegelbäume, Bärlappgewächse)

Lepidodendron (Schuppenbäume, Bärlappgewächse)

Calamites (Kalamiten, Schachtelhalme)

Calamites (Kalamiten, Schachtelhalme)

Calamites/Schachtelhalme/Wikipedia
Calamites/Schachtelhalme/Bilder
Wald mit Calamiten
Calamit/Einzelbaum
Karbon-Sumpfwald/Kohleentstehung
Sporenzapfen
Die Floren der karbonischen Steinkohlenwälder
Momentaufnahmen eines urtümlichen Waldes
Karbon
 

Wurzelstöcke (Stigmarien) von Sigillaria (Siegelbäume, Bärlappgewächse)

Im Vergleich zu den versteinerten Wurzelstöcken der Teil eines "Calmus"-Wurzelstocks, einer noch heute lebenden Sumpfpflanze.

Obenstehend sind einige Links zu Webseiten, die sich dem Thema "Karbon" und Entwicklung der Pflanzen widmen.

Aber ganz zufrieden war ich nicht damit. Meine sämtlichen laienhaft entstandenen Theorien waren über den Haufen geworfen. Meine ganze detektivische Arbeit umsonst!? Immer noch nicht beantwortet war die Frage: Wie kamen diese Versteinerungen hierher?

Einige Tage -oder waren es Wochen?- später nahm ich aus meinem Bücherregal das Buch „Die Leybucht“ von Theodor Janssen in die Hand. Es dokumentiert in akribischer Weise mit auch für Laien verständlichen Erklärungen und Bildern den Bau des Leyhörn zum Schutz der Leybucht und des umliegenden Landes. Ich blätterte durch, überflog da den Text, las dort ein bisschen intensiver, schaute mir die Bilder an.

Bei einem Bild hielt mein wandernder Blick plötzlich inne. Da waren sie, „meine“ roten Steine. Ganz deutlich waren sie neben dem Schlickgrau zu sehen.

                          Bilder mit freundlicher Genehmigung des Verlags Soltau Kurier Norden

Der Text verriet auch woher sie kamen: Sie sind Teil des Waschbergematerials aus dem Kohleabbau im Ruhrgebiet. Ein Abfallprodukt bei der Kohlegewinnung. Aus Oberhausen, wo sie auf Halde lagen, wurden sie  mit Schiffen und LKWs hierher transportiert und dienten als kostengünstiges Basisbaumaterial für den neuen Deich. Somit hatte Herr Wehrmann wirklich Recht mit seiner Annahme, das Material sei im Watt entsorgt worden. Aber dass diese Beseitigung allen Beteiligten Vorteile verschaffte, den Deichbauern die Kosten senkte, den Oberhausenern die Abraumentsorgungsfrage löste, kommt nicht alle Tage vor. 

Sogar ich hatte etwas davon. Einige Steine arbeiteten sich da und dort durch die ewige Bewegung des Wassers wieder nach oben und liegen da rum als Sammelobjekte für archäologische Laien, wie ich einer war. Die Begegnung mit ihnen hat mein Interesse geweckt und hat mich einiges dazulernen lassen.

Wie viele Fossilien-Schätze aus dem Karbon liegen wohl unter dem Deich begraben? Ich suche weiter.

Bruno Matern

Einige Fundstücke weisen eine interessante Färbung auf.

Übrigens habe ich eine junge Familie aus Oberhausen getroffen. Ich habe ihr eine Fossilie mitgegeben, die nun nach einem Ausflug an und in die Nordsee wieder ihren Platz in der Heimat hat, allerdings nicht mehr auf dem Waschberg, sondern im Wohnzimmerschrank.

 

                

Hier noch einige schöne Exemplare mit Klick zum Vergrößern!!

So könnte er ausgesehen haben, der Sumpfwald im Karbon